Das Ende von Trumps Chaos-Jahren: Biden ruft zum Neuanfang für die USA auf

Joe Biden ist der 46. Präsident der USA. © picture alliance/dpa/Pool Reuters/AP
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Exakt zwei Wochen ist es her, dass Anhänger Donald Trumps, aufgestachelt vom scheidenden Präsidenten, das Kapitol in Washington stürmten und die Welt in Schrecken versetzten. Nun treten die Amerikaner vor den Augen der Weltöffentlichkeit den Beweis an, dass sich ihre Demokratie der Gewalt nicht beugt. Am Mittwochmittag ist Trumps kontroverse Präsidentschaft Geschichte, als Joe Biden vor dem Parlamentsgebäude seinen Amtseid ablegt.

„Hier stehen wir nur wenige Tage, nachdem ein Mob gedacht hat, er könnte Gewalt anwenden, um den Willen des Volkes zum Schweigen zu bringen“, sagt Biden in seiner ersten Ansprache als US-Präsident. „Das ist nicht geschehen. Es wird niemals geschehen. Nicht heute, nicht morgen, niemals.“ Vier Jahre Trump, das sind vier Jahre Chaos im Weißen Haus gewesen, vier Jahre, in denen dieser Präsident nach Gutdünken Normen und Gepflogenheiten über den Haufen geworfen hat.

Trump bleibt der Amtseinführung fern

Kaum verwunderlich also, dass er am Mittwoch als erster Präsident seit 1869 der Amtseinführung seines Nachfolgers am Kapitol fernbleibt. Es sind auch vier Jahre gewesen, die die USA tief gespalten haben. Bidens Auftritt am Mittwoch steht im Kontrast zu Trumps brachialer Rhetorik. Der eindringliche Aufruf zur Einheit zieht sich wie ein roter Faden durch die Antrittsrede des neuen Präsidenten. „Nicht jede Meinungsverschiedenheit muss ein Grund für totalen Krieg sein“, sagt der Demokrat, der mit einer Botschaft der Aussöhnung gegen den Republikaner Trump angetreten war.

„Lasst uns neu anfangen.“ Der 78-Jährige fordert seine Landsleute auf, sich wieder zuzuhören, einander zu respektieren. Und er bittet sie, ihm eine Chance zu geben. Sollten sie danach immer noch anderer Meinung sein, „dann soll es so sein. Das ist Demokratie.“ In jedem Fall werde er der Präsident aller Amerikaner sein. „Ich verspreche Ihnen, ich werde genauso hart für diejenigen kämpfen, die mich nicht unterstützt haben, wie für die, die es taten.“

85 Prozent der Trump-Unterstützer glauben nicht an Bidens Wahlsieg

Auch wenn Biden den Namen seines Vorgängers in seiner 21-minütigen Ansprache nicht in den Mund nimmt, ist klar, auf wen der folgende Satz gemünzt ist: Jeder Bürger, jeder Politiker habe die Pflicht, „die Wahrheit zu verteidigen und die Lügen zu besiegen“. Die Lügen in Trumps Präsidentschaft begannen mit seiner Amtseinführung vor vier Jahren. Trump ließ seinen Sprecher Sean Spicer damals verbreiten, nie hätten mehr Zuschauer einer Vereidigung beigewohnt als zu seiner. Trump-Beraterin Kellyanne Conway prägte in dem Zusammenhang den Begriff „alternative Fakten“.

Es war nur ein Vorgeschmack auf das, was kommen sollte. Mehr als 30 000 falsche oder irreführende Aussagen haben die Faktenchecker der „Washington Post“ Trump in seiner einzigen Amtszeit nachgewiesen. Trump hat die Wahrheit so oft und so tiefgreifend verbogen, dass die Amerikaner inzwischen in zwei verschiedenen Welten zu leben scheinen: Einer realen und einer parallelen, in der Trumps Wort die Wirklichkeit ersetzt hat. Das hat Konsequenzen über seine Präsidentschaft hinaus: Nach einer Umfrage des Senders CNN glauben immer noch 85 Prozent der Trump-Unterstützer seiner unbelegten Behauptung, dass Biden nicht der legitime Wahlsieger ist.

Biden will das gespaltene Land zusammenführen

Bidens überragendes Ziel, das gespaltene Land zusammenzuführen, dürfte vor diesem Hintergrund zur Herkulesaufgabe werden. Der 78-Jährige tritt mit dem Versprechen an, so gut wie alles anders zu machen und das Land zurück zur Normalität zu führen. Der neue Präsident plant für seine ersten 100 Tage eine ganze Phalanx an Entscheidungen, der Sender CNN sprach von „Bidens 100-Tage-Sprint, um vier Jahre Trump rückgängig zu machen“. Unter anderem will er die USA zurück ins Pariser Klimaschutzabkommen führen. Mit Verbündeten wie Deutschland möchte Biden die Beziehungen wieder kitten.

Besonders hohe Priorität soll dem Kampf gegen das Coronavirus eingeräumt werden. Ein Jahr nach der ersten bestätigten Infektion – und am letzten vollen Tag von Trumps Amtszeit – überstieg die Zahl der Pandemie-Toten in den USA am Dienstag die Marke von 400 000. Am Abend vor seiner Vereidigung nahmen Biden und die neue Vizepräsidentin Kamala Harris – die erste Schwarze und erste Frau in dem Amt – in Washington an einer Gedenkveranstaltung für die Opfer teil.

Biden kündigte bereits erste Maßnahmen an

Auch hier war der Kontrast zu Trump augenfällig: Biden, der selber harte Schicksalsschläge zu verkraften hatte, kann Empathie zeigen. Das ist eine Fähigkeit, die Trump offensichtlich nicht zu eigen ist. Mit Biden soll nicht nur eine andere Politik, sondern auch ein anderer Stil ins Weiße Haus einziehen: Statt Chaos soll wieder Berechenbarkeit herrschen. Bidens Team kündigte schon fünf Tage vor der Vereidigung an, welche konkreten Maßnahmen der neue Präsident als erstes ergreifen werde – bei Trump kamen weitreichende Entscheidungen oft aus dem Nichts.

Die neue Kommunikationsdirektorin des Weißen Hauses, Kate Bedingfield, warb kürzlich auf Twitter für Bidens offiziellen Präsidenten-Account und versprach zugleich: „Aber Sie müssen auch nicht nachts mit einem Schreck aufwachen, um zu sehen, was dieser Account getwittert hat.“ Die prominente „New York Times“-Korrespondentin Maggie Haberman sprach im Sender CNN bei einem Rückblick auf die Trump-Jahre von dem „ständigen Gefühl, dass gleich etwas passieren wird“.

Trumps Twitter-Account wurde gesperrt

Trump habe mit permanenten Twitter-Nachrichten, vielen Entlassungen, drastischen Kurswechseln und „verhängnisvollen politischen Entscheidungen“ für diese Unruhe gesorgt. Eine Zahl verdeutlicht die Dauerspannung der Trump-Ära besser als alles andere: 26 237 Tweets hat er nach einer Statistik des Trump-Twitterarchivs in die Welt geschickt. Mehr als 88 Millionen Follower hatte sein Account @realdDonaldTrump – bis ihn Twitter am 8. Januar dauerhaft blockierte.

Die Sperre war eine Konsequenz aus dem Sturm aufs Kapitol zwei Tage zuvor. Der Angriff war nicht nur der Tiefpunkt von Trumps Amtszeit, er sicherte dem 74-Jährigen in der Folge auch einen unrühmlichen Eintrag in den Geschichtsbüchern: Trump ist der erste US-Präsident, gegen den gleich zwei Amtsenthebungsverfahren eröffnet wurden.

Lebenslange Ämtersperre für Trump ist möglich

Am Schluss des aktuellen Verfahrens wegen „Anstiftung zum Aufruhr“ könnte eine lebenslange Ämtersperre stehen. Eine etwaige Kandidatur Trumps bei der Präsidentschaftswahl 2024 wäre damit ausgeschlossen. In seinen letzten Stunden im Amt erlässt Trump noch eine Welle an Gnadenerlassen. Einer der Begnadigten ist sein früherer Chefstratege Steve Bannon – ein weiteres Beispiel für die offene Günstlingswirtschaft, die unter Trump Einzug hielt. Immer wieder hat er versprochen, den „Sumpf“ in Washington trockenzulegen.

Der Sender CNN urteilt am Mittwoch, stattdessen hätten sich in diesem Sumpf unter Trump noch mehr „Alligatoren und Kreaturen“ angesiedelt. Bannon sollte sich von Mai an vor Gericht dafür verantworten, Geld für den Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko eingesammelt und die Mittel dann für andere Zwecke abgezweigt zu haben.

Abschiedszeremonie auf der Militärbasis

Der Mauerbau gehörte zu Trumps prestigeträchtigsten Vorhaben, er hatte versprochen, Mexiko werde dafür bezahlen, was freilich nie geschehen ist. Es sind also Trumps ureigenste Anhänger, die Bannon betrogen haben soll – wofür er nun ausgerechnet von Trump begnadigt wird. Trump lässt sich am Mittwoch noch eine Abschiedszeremonie organisieren – nicht im Weißen Haus und nicht in Washington, sondern auf der Militärbasis Andrews, zehn Flugminuten entfernt.

Um 8.17 Uhr hebt der Präsidentenhubschrauber Marine One vom Südgarten des Weißen Hauses ab. Auf dem Stützpunkt lässt sich Trump noch ein Mal feiern. 21 Salutschüsse ertönen, als er an das Pult mit dem Siegel des Präsidenten tritt. Wie üblich lobt der 74-Jährige seine eigene Arbeit über den grünen Klee. „Was wir getan haben, ist in jeder Hinsicht erstaunlich“, meint er.

Trump will „in irgendeiner Form zurückkehren“

Zwar wünscht Trump der neuen Regierung Glück und Erfolg. Bidens Namen nimmt er aber nicht in den Mund. Trumps Abschiedsworte bei der kurzen Rede dürften für seine Anhänger verheißungsvoll klingen – seine Gegner dürften sie als Drohung interpretieren. „Wir werden in irgendeiner Form zurückkehren“, sagt Trump. „Ich werde immer für euch kämpfen.“

Zum Schluss fügt er hinzu: „Habt ein gutes Leben. Wir sehen uns bald.“ Um 9.00 Uhr – drei Stunden vor Bidens Vereidigung – hebt die Air Force One mit Donald und Melania Trump an Bord in Richtung Florida ab. Aus den Boxen am Rollfeld erklingt dazu Frank Sinatras „I did it my way“.